Probleme mit dem Darm, die hatte wohl jeder schon einmal von uns. Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) ist aber alles anders. Der Spuk ist nicht nach wenigen Wochen vorbei, sondern tritt immer wieder auf. Ein klassischer chronischer Verlauf, der Betroffene in die Knie zwingt.
Neue Hoffnung gibt es nun vonseiten der Wissenschaft. Scheinbar kommt ausgewählten Darmbakterien eine bisher ungeahnte Bedeutung bei der Entstehung von Darmentzündungen zu.
Heute möchten wir tiefer graben und nicht bloß an der Oberfläche kratzen. Dabei stellen wir uns die Frage: Was bringen Probiotika bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wirklich?
MORBUS CROHN & COLITIS ULCEROSA: WO IST DER UNTERSCHIED?
Bevor wir in die Welt der Wissenschaft eintauchen, sollten wir uns zunächst die Begrifflichkeiten ansehen. Morbus Crohn und Colitis ulcerosa werden häufig in einen Topf geworfen. Auch wenn sie Ähnlichkeiten aufweisen, handelt es sich um zwei verschiedene Krankheiten.
Beide werden unter dem Oberbegriff „chronisch-entzündliche Darmerkrankungen“ zusammengefasst.
STECKBRIEF MORBUS CROHN
- wässrige Durchfälle, die mehrere Wochen anhalten können, Schleimbeimengungen sind möglich.
- Krankheit betrifft den kompletten Verdauungstrakt. Insbesondere am Übergang von Dünn- zum Dickdarm macht sie sich bemerkbar.
alle Schichten der Darmwand können sich entzünden. - heftige Krämpfe, vor allem im rechten Unterbauch.
- Gewichtsverlust und Symptome am After (bspw. Abszesse) sind häufig.
- leicht erhöhtes Krebsrisiko
STECKBRIEF COLITIS ULCEROSA
- ausgeprägte Durchfälle, mit Blut- und Schleimbeimengungen
- schmerzhafter Stuhldrang
- Krankheit begrenzt sich auf den Dickdarm.
- Darminnenseite und Darmschleimhaut entzünden sich.
- krampfartige Schmerzen im linken Unterbauch, vor allem vor dem Stuhlgang.
- Fieber und Geschwüre können auftreten.
- erhöhtes Krebsrisiko
Bei diesen zwei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen handelt es sich also um üble Gesellen. Dabei sollte auch der Leidensdruck, den Betroffene empfinden, nicht unterschätzt werden. Schließlich können die Beschwerden lieb gewonnenen Aktivitäten einen Strich durch die Rechnung machen. Urplötzlich müssen Verabredungen oder lang geplante Unternehmungen abgesagt werden.
Viele Patienten versuchen sich, regelmäßig upzudaten. Die Hoffnung auf eine erfolgversprechende Therapie ist groß. Gut so, denn die Wissenschaft hat tatsächlich Neuigkeiten.
GESUNDER DARM: IM VERDAUUNGSTRAKT STEPPT DER BÄR
Wenn ich dich jetzt fragen würde, welcher Teil deines Körpers am aktivsten ist, hättest du sicherlich einige Ideen. Vielleicht denkst du an das Gehirn. Dort sind Nervenzellen durch Synapsen miteinander verbunden und tauschen stetig Signale aus. Wäre das sichtbar, könntest du ein wahres Lichtermeer im Kopf beobachten.
Möglicherweise fällt dir aber auch zuerst dein Herz ein. Es macht beeindruckende 95.000 Schläge täglich für dich. Unglaubliche 2,6 Milliarden Herzschläge sind es insgesamt nach etwa 75 Jahren.
Wahrscheinlich ist dir aber nicht der Darm in den Sinn gekommen. Auffällig ist er ja. Das Organ nimmt immerhin in deinem Körper den meisten Platz ein. Lange Zeit fristete der Darm ein Schattendasein. Schließlich sorgt er nur dafür, dass Lebensmittel verdaut werden. Falsch gedacht, denn der Darm kann sogar Emotionen beeinflussen.
Wie das geht? Dafür müssen wir zunächst deine organische Beschaffenheit unter die Lupe nehmen. Dein Verdauungsapparat und dein Gehirn stehen stetig in Verbindung. Das gelingt durch den sogenannten Vagus-Nerv.
Nicht ohne Grund wird der Darm als zweites Gehirn bezeichnet. Er setzt sich ebenfalls aus einem großen Geflecht von Nervenzellen zusammen. Für die ganz Neugierigen unter euch: Es sind 100 Millionen Nervenzellen, die genauso aussehen wie im Gehirn. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Angst, Autismus und Depressionen in Zusammenhang mit ausgewählten Darmbakterien stehen.
Aber damit nicht genug, dass der Darm das zweite Gehirn ist und komplexe Verdauungsprozesse ermöglicht. Darüber hinaus ist er auch die Kommandozentrale deines Immunsystems. Der überwiegende Anteil deiner Immunzellen findet hier ein Zuhause.
Wenn ich dich also das nächste Mal frage, wo bei dir im Körper so richtig was los ist, wirst du sicherlich auch an deinen Darm denken.
Quelle: Pexels
CHRONISCH-ENTZÜNDLICHE DARMERKRANKUNGEN: DIE PARTYVERWEIGERER
Wenn du unter einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung leidest, ist die Party zwar im Gange, aber nicht so wie gewünscht. Entzündungen breiten sich in Abhängigkeit davon, ob Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa vorliegt, in verschiedenen Teilen deines Darms aus.
Dabei handelt es sich zwar auch um eine Aktivität, diese führt jedoch zu den unangenehmen Beschwerden. Nun kommen wir zu der Frage, was Darmbakterien mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zu tun haben.
Das Mikrobiom in deinem Verdauungsapparat nimmt eine wichtige Rolle für deine Gesundheit ein. Dort leben „gute“ und „schlechte“ Darmbakterien. Im Normalfall besitzen die guten Bakterien die Oberhand und halten die schlechten in Schach.
Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen konnte jedoch Folgendes beobachtet werden:
- eine veränderte Mikrobiota liegt vor. Die Bakterienvielfalt ist nicht mehr so groß und die Zusammensetzung ist anders.
- Krankheitserregende Bakterien haften verstärkt an der Darmschleimhaut.
- Die Anzahl an guten Bakterien ist reduziert. Bei Morbus Crohn können Bifidobakterien, bei Colitis ulcerosa Laktobazillen fehlen.
- Die Darmbakterien zeigen sich invasiver. Normalerweise sitzen sie auf der Schleimschicht der Darmwand. Bei Menschen mit CED können sie direkt an den Darmgewebezellen andocken.
- Die Abwehr mittels Defensinen klappt nicht reibungslos. Defensine werden auch als körpereigene Antibiotika bezeichnet. Sie haben das Ziel, Krankheitserreger, vor allem Bakterien, abzuwehren. Bei CED zeigen sich die Defensine weniger munter. So können Bakterien andauernd in die Darmschleimhaut eindringen. Die mögliche Folge: Entzündungen.
COLITIS ULCEROSA: WENN ES AN SCHÜTZENDEN DARMBAKTERIEN FEHLT
Noch ist unklar, ob Veränderungen in dem Bakterienmix chronisch-entzündliche Darmerkrankungen begünstigen können oder ob sie eher als Folge der Krankheit anzusehen sind.
Fest steht jedoch, dass in einem gesunden Dickdarm ausgewählte Gallensäuren von Mikroben eine wichtige Rolle einnehmen. Darf ich dir die Familie der Ruminokokken vorstellen? Die Winzlinge werden in deinem Körper so verändert, dass sie Entzündungen deiner Darmschleimhaut im Weg stehen.
Clevere Sache, lass uns das einmal näher erforschen. Primäre Gallensäuren, wie die Cholsäure, werden in deiner Galle gebildet. Im Anschluss werden sie an deinen Darm weitergeleitet. Hier helfen sie bei der Verdauung von Fetten.
Ausgewählte Bakterien in deinem Dickdarm kümmern sich um diese Verbindungen. Daraus entstehen dann sekundäre Gallensäuren. Jetzt wird es interessant: Amerikanische Ärzte haben in Untersuchungen festgestellt, dass ein Mangel an sekundären Gallensäuren im Dickdarm womöglich chronische Darmentzündungen begünstigen kann. Kein Wunder, denn sekundäre Gallensäuren wirken entzündungshemmend.
Zusammengefasst bedeutet das: Wenn du über eine zu geringe Anzahl an Bakterien verfügst, die für die Herstellung sekundärer Gallensäuren verantwortlich sind, kann sich das negativ auf Darmentzündungen auswirken.
Soweit die Theorie. Nun schauen wir uns die Praxis an.
STUDIEN LIEFERN HINWEISE: DARMBAKTERIEN SIND NÜTZLICH BEI CED
In Untersuchungen wurde beobachtet, dass Patienten mit Colitis ulcerosa einen ausgeprägten Mangel an zwei sekundären Gallensäuren aufwiesen: Desoxycholsäure und Lithocholsäure. Beiden Substanzen wird ein entzündungshemmendes Potenzial zugeschrieben. Zudem zeigten sich die Bakterien, die zu der Familie der Ruminokokken gehören, reduziert.
Eben diese sind aber wichtig, um die gewünschten sekundären Gallensäuren zu produzieren. Daher wird vermutet, dass die Darmkeime und die zugehörigen Stoffwechselprodukte entscheidend sind, um Entzündungen im Darm entgegenzuwirken.
Tatsächlich konnten mit der Gabe von Desoxycholsäure und Lithocholsäure bei Mäusen Entzündungsreaktionen und Krankheitssymptome gelindert werden. Bei den Tieren wurden zuvor chronische und akute Darmentzündungen im Labor erzeugt.
Die Forscher leiten von den Untersuchungsergebnissen ab, dass eine Behandlung mit ausgewählten Gallensäuren hilfreich bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn sein könnte. Um eine klare Handlungsempfehlung für Patienten herausgeben zu können, müssen aber noch mehr Studien durchgeführt werden. Die Wissenschaftler bleiben am Ball.
Nur ein schwacher Trost für Menschen, die an chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen leiden. Schließlich können die Schübe einige Wochen oder sogar Monate anhalten.
Noch steckt die Wissenschaft in Bezug auf die Gallensäuren bei CED in den Kinderschuhen, das gilt aber nicht für Probiotika.
PROBIOTIKA BEI CHRONISCH-ENTZÜNDLICHEN DARMERKRANKUNGEN
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) versteht unter Probiotika lebende Organismen, die sich gesundheitsfördernd auf den menschlichen Körper auswirken können. Voraussetzung ist, dass sie in geeigneter Menge zur Verfügung gestellt werden.
Studien legen den Verdacht nahe, dass Probiotika mit ausgewählten Mikroorganismen bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sinnvoll sein könnten. Zum einen, um eine Behandlung von akuten Darmentzündungen zu unterstützen. Zum anderen, um die Wahrscheinlichkeit für Rückfälle zu senken.
Den Anfang machte der deutsche Arzt Alfred Nissle. Ihm ist es gelungen, einen probiotischen Bakterienstamm bei einem Soldaten im 1. Weltkrieg zu isolieren. Die Auswahl hat er ganz bewusst getroffen. Der Soldat erfreute sich bester Gesundheit, obwohl seine Kameraden um ihn herum an Durchfall litten.
Danach wurden mit dem Probiotikum auch Menschen mit chronischen Darmentzündungen behandelt – mit Erfolg. Auch heute noch kommt das Nissle-Probiotikum zum Einsatz.
Aber es gibt noch mehr Bakterien, die der Darmgesundheit behilflich sein können. In einer Studie konnten Bifidobakterien und Lactobacillus acidophilus überzeugen.
In dem Versuchsmodell wurde Milch mit den Bakterien fermentiert und von den Studienteilnehmern verzehrt. Dabei zeigte sich, dass nach einem Jahr nur 27 % der Milchtrinker einen Rückfall hatten. Die Vergleichsgruppe erhielt die Spezialmilch nicht. Bei ihnen betrug die Rückfallquote 90 %.
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QUELLEN:
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4410136/
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3897394/
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20696216/
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3839572/
- https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-014-2095-0
- https://www.cell.com/cell-host-microbe/pdf/S1931-3128(20)30062-7.pdf?_returnURL=https%3A%2F%2Flinkinghub.elsevier.com%2Fretrieve%2Fpii%2FS1931312820300627%3Fshowall%3Dtrue
- https://academic.oup.com/jn/article/137/3/819S/4664767
- Anton J. Kroesen, Bodo Klump, Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: Handbuch für Klinik und Praxis, Georg Thieme Verlag, 2009
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12569115/